Drei Berliner Strafprozesse nach 1968
Autor: Hansgeorg Bräutigam
ISBN: 978-3-95723-175-8
Verfügbarkeit: erscheint am 14. Mai 2020
Umfang: 144 Seiten, 205mm x 125mm, Broschur
Preis: 16,95 €
Die Spur des Terrorismus führt ins alte West-Berlin. Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg erschossen. Vor dem West-Berliner Kammergericht fand 1986 der Prozess gegen Mitglieder der „Bewegung 2. Juni“ statt, die den Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann erschossen und den Berliner CDU-Vorsitzenden Lorenz entführt hatten. Vor demselben Gericht angeklagt war der Begründer des Sozialistischen Anwaltkollektivs, der ehemalige RAF-Verteidiger Horst Mahler. Und auch gegen internationale Terroristen wurde hier verhandelt: im „Mykonos-Prozess“ ab 1993, benannt nach dem Tatort, einem griechischen Restaurant in Berlin, in dem der iranische Ajatollah Khomeini vier kurdische Exilpolitiker liquidieren ließ.
Hansgeorg Bräutigam (*1937 in Berlin), von 1979 bis 2002 Vorsitzender Richter am Berliner Landgericht, kennt die an den Prozessen beteiligten Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte. Sein Buch ist ein fesselnder Einblick in drei der spektakulärsten Berliner Strafprozesse.
Sven Felix Kellerhoff in der WELT:
Mit diesen Tricks verteidigten Schily und Ströbele den RAF-Gründer:
„… Der damals 35-jährige Volljurist und Richter Hansgeorg Bräutigam amtierte im Oktober 1972 als Pressereferent des Justizsenators und leitete damit die Justizpressestelle. Er war also an dem vielleicht spektakulärsten Prozess des Jahres nahe dran. Fast ein halbes Jahrhundert später legt Bräutigam nun seine Erinnerungen an diesen und an zwei weitere spektakuläre Terroristenprozesse in Berlin als Buch vor. Das ist wichtig, weil damit zum ersten Mal ein Justiz-Insider über diese Verfahren berichtet …“
Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der WELT …
Besprechung im Historischen Sachbuch ….
1.
“ … Man sah ihm seine Angst an. Aber er schilderte, wie Horst Mahler, Andreas Baader, Hans-Jürgen Bäcker, Gudrun Ensslin, Irene Goergens, Eric Grusdat und noch andere die Überfälle geplant und ausgeführt hätten … Wiederholt gab es Ablehnungsanträge gegen den Vorsitzenden. Rechtsanwalt Schily kündigte an, Franz-Josef Strauß als Zeugen hören zu wollen. Horst Mahler bekannte sich zum
bewaffneten Kampf.35 Dann entbrannte Streit über die Frage, ob Baader, Grashof und Ulrike Meinhof als Zeugen gehört werden sollen. Die Bundesanwaltschaft widersprach, weil die Zeugen die Aussage verweigerten. Am 14. Tag ruft Mahler im Verhandlungssaal zu gezielten Strafaktionen mit einfachen Mitteln und verhältnismäßig geringem Risiko gegen die vier beisitzenden Richter auf …“
2.
„… Eineinhalb Jahre nach dem Mahler-Urteil, am Abend des 10. November 1974 wurde der Präsident des Kammergerichts Günter von Drenkmann. vor den Augen seiner Frau im Flur seiner Wohnung in Westend durch zwei Pistolenschüsse niedergestreckt. Drei Monate danach, am 27. Februar 1975 – drei Tage vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus – entführten Terroristen den Landesvorsitzenden der Berliner CDU Dr. Peter Lorenz. Er wurde in ein Versteck nach Berlin Kreuzberg – von den Entführern als „Volksgefängnis“ bezeichnet – gebracht und dort als Geisel so lange in geheimem Gewahrsam gehalten, bis der Krisenstab der Bundesregierung der Erpressung nachgab und die Bedingung der Geiselnehmer erfüllte, eine Kerngruppe des politischen Untergrunds aus dem Gewahrsam der Berliner Justiz zu entlassen.
3.
„… Als die Kurden versuchten, sich gegen die Repressionen mit Waffengewalt zu wehren, rief Khomeini am 17. August 1979 den „Heiligen Krieg“ (Dschihad) gegen die Kurden aus. Er erklärte unter anderem die DPK-I zur Partei des Teufels und verbot sie … Am 17. September 1992 kurz vor 23.00 Uhr wurden in dem Restaurant „Mykonos“ in der Prager Straße 2 A in Berlin-Wilmersdorf der Vorsitzende der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran (DPK-I) Dr. Sadegh Sharafkandi, der Europavertreter dieser Partei Fattah Abdoli, ihr Deutschlandvertreter Homayoun Ardalan sowie ihr Berater und Dolmetscher Nurullah Mohmadpour Dehkordi durch insgesamt 30 Schüsse aus einer Maschinenpistole und einer Pistole getötet.
Als Nebenkläger der Familien der Opfer traten die Rechtsanwälte Otto Schily, Wolfgang Wieland, und Hans-Joachim Ehrig auf und forderten die Vernehmung des Staatsministers im Bundeskanzleramt und Koordinator der Geheimdienste Bernd Schmidbauer zum Inhalt der Gespräche vom 6./.7. Oktober 1993 mit Ali Fallahian, dem Minister des iranischen Geheimdienstes. Die Schlussplädoyers der Bundesanwaltschaft hatten bereits am 12. November 1996 begonnen, aber wegen stets neuer Beweisanträge und Interventionen aus Teheran war die Urteilsverkündung immer wieder verschoben worden. 80 Journalisten sind aus aller Welt angereist …“
Der Mahler-Prozess…………………………………………………… . 14
Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .15
Der Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29
Das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38
Der Lorenz-Drenkmann-Prozess . …………………………………50
Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51
Der Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53
Das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65
Der Mykonos-Prozess 94
Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .95
Der Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .97
Dr. Bernd Pickel, Präsident des Kammergerichts, zum Buch:
Der Lorenz-Drenkmann-Prozess und das ihm vorausgegangene
Strafverfahren gegen Horst Mahler waren
durch ihren Zusammenhang mit dem viel diskutierten
Deutschen Herbst in der Öffentlichkeit stets präsent.
Und die heutigen Ereignisse in und um den Iran
herum lassen das Verfahren, mit dem das Kammergericht
den Anschlag auf das Berliner Lokal „Mykonos“
aufgearbeitet hat, hoch aktuell erscheinen.
Dennoch: Alle drei Verfahren des Kammergerichts
liegen mehrere Dekaden zurück, das Verfahren gegen
Mahler nähert sich seinem 50jährigen Jubiläum. Persönliche
Erinnerungen von Zeitzeugen, die die Verfahren
nicht nur aus Sicht einer breiten Öffentlichkeit,
sondern hautnah erlebt haben, werden weniger. Es
geht deshalb darum, die Kenntnisse, Gedanken und
Sichten solcher Zeuge, die direkt dabei waren, festzuhalten
und ihre Schilderungen als Informationsquelle
für die historische Forschung verfügbar zu halten.
Ich bin Herrn Vorsitzenden Richter am Landgericht
Hansgeorg Bräutigam deshalb sehr dankbar, dass er
sich in seinem Ruhestand mit dem Strafverfahren
gegen Horst Mahler 1972, dem sog. Lorenz-Drenkmann
Prozess 1978 und dem Verfahren über den
Anschlag im Restaurant Mykonos 1992 drei herausragend
wichtigen Strafverfahren des Kammergerichts
gewidmet hat. Bräutigam war als Pressesprecher des
damaligen Justizsenators Hoppe ein Pionier in dieser
Funktion. Dadurch und durch seine späteren Aufgaben
als Ermittlungsrichter am Kammergericht und
dann als langjähriger Vorsitzender Richter am Landgericht
Berlin ist er ein erstklassiger Kenner der Berliner
Strafjustiz in den Jahren nach 1968. Wie kaum ein
anderer hatte er Einblicke in das damalige Geschehen
von außen und von innen. Bräutigam kennt die beteiligten
Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte aus
seinem beruflichen Wirken heraus. Dadurch findet er
einen Zugang zu der Materie und zu den einzelnen
Strafverfahren, wie dies anderen Autoren, die die Geschehnisse
nicht so direkt und nicht aus einer solchen
Perspektive erlebt haben, schwer möglich sein dürfte.
Hansgeorg Bräutigam öffnet diesen seinen Zugang
mit diesem Buch einer breiten Leserschaft. Dafür bin
ich ihm dankbar. Mir persönlich hat die Lektüre viele
mir bis dahin nicht bekannte wichtige Einzelheiten
über die drei Prozesse und ihre Zeit vermittelt, die
erst die Entscheidungen in Gänze verständlich machen
und die zum Nachdenken und zur Diskussion
anregen. In diesem Sinne wünsche ich dem Werk und
dessen Autor eine freundliche Aufnahme durch die
Leserschaft.
J A H R B U C H F Ü R B R A N D E N B U R G I S C H E L A N D E S G E S C H I C H T E
72. BAND, Berlin 2021
Hansgeorg Bräutigam: Terroristen vor dem Kammergericht. Drei Berliner Strafprozesse nach
1968. Berlin: Berlin Story Verlag 2020. 142 S., Abb.
In der Nachkriegsgeschichte des Berliner Kammergerichts nehmen die mit den Namen Horst Mahler,
Peter Lorenz, Günter von Drenkmann und Mykonos verbundenen Strafverfahren, in denen
sich die Richter mit unterschiedlichen Formen des Terrorismus auseinanderzusetzen hatten, einen
prominenten Platz ein. Autor Hansgeorg Bräutigam arbeitete über Jahrzehnte hinweg im Berliner
Justizdienst und war zuletzt als vorsitzender Richter am Landgericht tätig. An den genannten Verfahren
war er zwar nicht direkt beteiligt, mit den in die Prozesse involvierten Richtern und Anwälten
jedoch persönlich bekannt. Der Sache nach handelt es sich bei dem vorliegenden Band also um einen
sich an eine breitere Leserschaft wendenden Zeitzeugenbericht aus der Berliner Justiz.
Im ersten Kapitel widmet sich Bräutigam dem zwischen Oktober 1972 und Februar 1973
geführten Prozess gegen Mahler, der zu den Schlüsselfiguren jener linksradikalen Gruppierungen
zählte, die sich im Anschluss an den Tod des Studenten Benno Ohnesorg durch eine Kugel des
später als Stasimitarbeiter enttarnten Polizisten Karl-Heinz Kurras am 2. Juni 1967 gebildet hatten.
Die Anklage lautete auf Mitgliedschaft in der Baader-Meinhof-Bande, der zu diesem Zeitpunkt
mehrere Banküberfälle zur Last gelegt wurden. Im Vorfeld des Verfahrens, in dem 321 Zeugen und
40 Sachverständige gehört wurden, waren die Sicherheitsvorkehrungen massiv verstärkt worden, da
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Buchbesprechungen
die Justiz aufgrund ihrer vielfach als ungenügend empfundenen Aufarbeitung des NS-Unrechts zu
den bevorzugten Zielen des Terrorismus zählte. Bräutigam erinnert in diesem Zusammenhang an
den gescheiterten Anschlag auf den Landgerichtsdirektor Hans Heinsen (1969) und die Ermordung
von Generalbundesanwalt Siegfried Buback (1977). Auch im Gerichtssaal standen die Zeichen auf
Konfrontation. Mahler, von Haus aus selbst Jurist und Gründungsmitglied eines „sozialistischen
Anwaltskollektivs“, nutzte jede Gelegenheit zu menschenverachtenden politischen Erklärungen, die
in seinem an die Justiz gerichteten Schlusswort gipfelten: „[…] mit denen redet man nicht, auf die
schießt man.“ (S. 37) Währenddessen wendeten seine Verteidiger Otto Schily und Christian Ströbele
(eine Kombination, die man sich heute kaum noch vorzustellen vermag) die Instrumente der Strafprozessordnung
konsequent gegen das Gericht, um dieses verächtlich zu machen. Mit zahllosen
Anträgen zwangen sie den Senat immer wieder zur Beschlussfassung ins Beratungszimmer. Dabei
machte der zunehmend verärgerte Senatsvorsitzende Paul Jericke gegenüber Schily nicht nur in den
Augen der Presse keine gute Figur und musste nach 21 Verhandlungstagen und einem erfolgreichen
Befangenheitsantrag durch seinen Beisitzer Raimund Zelle ersetzt werden. Das Verfahren endete
schließlich mit einem Urteil zu zwölfjähriger Freiheitsstrafe wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung und gemeinschaftlichen schweren Raubes. In den folgenden Jahren eskalierte die
innenpolitische Situation weiter. Am 10. November 1974 wurde Kammergerichtspräsident Günter
von Drenkmann vor den Augen seiner Frau in seinem Haus erschossen.
Bald darauf, am 27. Februar 1975, entführten Terroristen der Bewegung 2. Juni den Berliner
CDU-Landesvorsitzenden Peter Lorenz, der wenig später freikam, nachdem sich die Bundesregierung
in einem Akt der Schwäche auf die Forderung der Entführer eingelassen hatte, mehrere inhaftierte
Terroristen in den Jemen auszufliegen. Im April 1978 begann schließlich der Prozess gegen Ralf
Reinders, Ronald Fritzsch, Gerald Klöpper, Till Meyer, Fritz Teufel und Andreas Vogel, denen als
Mitgliedern der Bewegung 2. Juni neben dem Mord an Drenkmann und der Entführung von Lorenz
zahlreiche weitere Delikte zur Last gelegt wurden. Wie bereits im Verfahren gegen Mahler war die
Atmosphäre im Saal von massiven Beleidigungen des Gerichts durch die Angeklagten und zahllosen
Befangenheitsanträgen gegen Vorsitzenden und Beisitzer geprägt. Teile des Publikums lieferten sich
derweil Schlägereien mit der Polizei. Meyer gelang im Mai 1978 die Flucht aus der Untersuchungshaft,
wurde indes im Juni in Bulgarien durch deutsche Polizisten in Zivil festgenommen. Mehrere
Verteidiger standen unter Verdacht der Beihilfe. Da die Angeklagten zur Sache schwiegen, sah sich
das Gericht auf Indizien sowie die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen verwiesen. Zweifel
bestanden sowohl an der Darstellung eines als Kronzeugen fungierenden V-Mannes des Verfassungsschutzes
als auch an der Identifizierung von Reinders als Todesschütze durch die Witwe Drenkmanns.
Im Oktober 1980 wurden die Angeklagten deshalb vom Mord an Drenkmann frei-, jedoch wegen
Beteiligung an der Geiselnahme von Lorenz und diversen Raubüberfällen schuldiggesprochen.
13 Jahre später hatte das Kammergericht über Staatsterrorismus zu verhandeln. Am 17. September
1992 waren im Wilmersdorfer Restaurant „Mykonos“ vier hochrangige Vertreter der
Demokratischen Partei Kurdistans, die für einen Regimewechsel im Iran eintrat, durch Schüsse
aus einer Maschinenpistole getötet worden. Angeklagt wurden fünf mutmaßliche Mitarbeiter des
iranischen Geheimdienstes, als Nebenkläger trat unter anderem Otto Schily auf. Das international
stark beachtete und unter starken Sicherheitsvorkehrungen durchgeführte Verfahren führte bei
einem Freispruch zu Freiheitsstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich. Für Aufsehen und
diplomatische Spannungen sorgte dabei insbesondere jener Passus der Urteilsbegründung, in dem die
iranische Regierung als Drahtzieher des Anschlages bezeichnet wurde. Die an dem Urteil beteiligten
Richter waren gezwungen, mitsamt ihren Familien für geraume Zeit abzutauchen.
Bräutigam liefert einen Zeitzeugenbericht aus richterlicher Perspektive, der als solcher für die
historische Forschung noch an Wert gewonnen hätte, wenn der gerichtlichen Entscheidungsfindung
und ihren Problemen mehr Platz eingeräumt worden wäre. Zur psychologischen Belastung, die mit
der Leitung solcher Verfahren für den vorsitzenden Richter einhergegangen sein muss, hätte man
gern noch mehr gelesen. Besonders bei der Schilderung des Mykonos-Verfahrens dominiert jedoch
eine detaillierte Schilderung von Planung und Tathergang, bei der sich der Autor eng an die Urteils
begründung hält, ohne die richterliche Konstruktion des Sachverhalts als solche zu problematisieren.
Aufschlussreich ist hingegen Bräutigams von Ablehnung geprägte Wahrnehmung der Konfliktstrategie
Schilys und Ströbeles im Mahlerverfahren. Soziologie und Rechtstheorie schreiben Anwälten
gemeinhin die Funktion zu, durch Übernahme von in der Justiz etablierten Interaktionsregeln dem
Gericht gegenüber „unbezahlte zeremonielle Arbeit“ (Niklas Luhmann) zu leisten und eine „Vermachtung
und Kommodifizierung“ rechtlichen Wissens zu bewirken (Alexander Somek). Gegen diesen
common sense verstieß die Verteidigungsstrategie von Mahlers Anwälten grundlegend. In all seiner
Schärfe war dies gewiss nicht repräsentativ. Es indiziert jedoch gleichwohl einen Kulturwandel, zu
dem es im Laufe der 1970er Jahre auch jenseits hochpolitischer Verfahren gekommen ist und der
das Interesse der Justizforschung verdient. Tobias Schenk