Die Aufarbeitung des SED-Unrechts — Erinnerungen eines Richters
Autor: Hansgeorg Bräutigam
ISBN: ISBN 978-3-95723-179-6
Verfügbarkeit: erscheint am 4. Mai 2021
Umfang: 266 Seiten, 205mm x 125mm, Broschur
Preis: 19,95 €
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In diesem Buch berichtet Hansgeorg Bräutigam aus seinen persönlichen Erinnerungen, Kenntnissen und Erfahrungen im Umgang mit der DDR-Justiz über den ungeheuerlichen Umfang rechtsstaatswidriger politischer Verfolgung. Menschen wurden systematisch zerbrochen, Lebensschicksale zerstört, missliebige Bürger aus politischen Gründen strafgerichtlich verfolgt.
Bräutigam hatte mit dem ersten Mauerschützenprozess zu tun; mit dem Staatsdoping minderjähriger Schwimmerinnen; den Finessen der alte SED-Kader, das Vermögen der Partei zu verschleiern. Gegen Erich Honecker, Generalsekretär der SED und Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates der DDR, wurde Anklage erhoben wegen Totschlags. Als am belastendsten schildert Bräutigam den Fall gegen Wolfgang Schnur, Rechtsanwalt und langjähriger Inoffizieller Mitarbeiter des MfS, der viele Jahre Persönlichkeiten aus Kirche und Politik ausgespäht und Mandanten wie Freya Klier und Stephan Krawczyk an die Stasi verriet.
Hansgeorg Bräutigam (*1937 in Berlin), von 1979 bis 2002 Vorsitzender Richter am Berliner Landgericht, übernahm 1991 die neue Strafkammer für Kassation und Rehabilitierung, die nach dem Einigungsvertrag alle strafgerichtlichen Entscheidungen von DDR-Gerichten überprüfen und aufheben durfte.
Hansgeorg Bräutigam schildert eindrucksvoll die Erwartungen der vielen Opfer des kommunistischen Regimes an Gerechtigkeit. Er ermöglicht nicht nur einen Rückblick auf den Beginn der strafrechtlichen Aufarbeitung, sondern bietet zugleich einen Überblick über die Schwierigkeiten des juristischen Neubeginns in der ehemaligen DDR.
Dr. Anna Kaminsky
Geschäftsführerin der Bundesstiftung
zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
„In seinem faszinierenden neuen Buch stellt Hansgeorg Bräutigam die Versuche der Gerichte als gescheitert dar, historisches DDR-Unrecht zu reparieren, : „Man kann getrost von ’symbolischem Strafrecht‘ sprechen. Das Unrecht ist überwiegend nur bekundet, nicht geahndet worden.“ Mag sein, ABER der symbolische Charakter, vergangene Praktiken öffentlich als Unrecht zu deklarieren, ist wohl wichtiger (als Menschen zu verurteilen) für Gesellschaften, um voranzukommen, wieder zusammenzukommen und mit historischem Unrecht umzugehen. In diesem Sinne sehe ich hier eine Geschichte des Erfolgs. Ich würde auch jedem, der Zweifel daran hat, ob die DDR ein ‚Unrechtsstaat‘ war, dringend empfehlen, das Buch von Hansgeorg Bräutigam zu lesen.“
Aus dem Vorwort
Dann kam Donnerstag, der 9. November 1989, der Tag des Mauerfalls.
Ich ahnte noch nicht, dass meine juristische Tätigkeit davon betroffen sein würde und sich für mich eine völlig neue berufliche Dimension eröffnete. Niemals hätte ich daran gedacht, Erich Honecker, Erich Mielke oder Egon Krenz als Angeklagten im Gerichtssaal von Moabit zu begegnen. Ich dachte daran, vielleicht demnächst in den Spreewald oder nach Rügen fahren zu können, daran, dass die schikanierenden Grenzkontrollen ein Ende hätten. Noch heute habe ich es im Ohr: „Machen Sie mal das rechte Ohr frei“ – an den Grenzübergängen in Dreilinden, Marienborn und Rudolphstein, immer im besten Sächsisch. Und immer warten!
Mit diesem Buch berichte ich aus meinen persönlichen Erinnerungen, Kenntnissen und Erfahrungen im Umgang mit der DDR-Justiz. Es soll helfen, Wissensdefizite über die Geschichte der SED-Diktatur und ihre Folgen abzubauen, und es soll der jüngeren Generation vermitteln, wie das SED-Regime unter dem Deckmantel des justizförmigen Verfahrens Menschen in der DDR systematisch zerbrochen und Lebensschicksale zerstört hat. Missliebige Bürger wurden aus politischen Gründen strafgerichtlich verfolgt, in psychiatrische Anstalten gesteckt, zwangsausgesiedelt, sowie an Ausbildung und Fortkommen gehindert. Kinder wurden politisch verfolgten Eltern entzogen und in Erziehungsheimen untergebracht. Schüler und Lehrer wissen darüber zu wenig.
Um möglichst zu vermeiden, dass Akten verschwinden oder „bereinigt“ werden konnten, wurden in Berlin die Gerichtsgebäude der vormaligen DDR verschlossen, die Bediensteten nach Hause geschickt, alle Akten auf Lastwagen verladen.
Nach Rücksprache mit dem Landgerichtspräsidenten übertrug mir das Präsidium des Landgerichts neben dem Vorsitz in der Wirtschaftsstrafkammer 5 zugleich den Vorsitz der neu eingerichteten Strafkammer 6, die für die neu geschaffene Abteilung Kassation und für Rehabilitierung zuständigen Westen transportiert“ und dort nach den geltenden Zuständigkeitsregeln verteilt.
Es gab keine unabhängigen, nur dem Recht und dem Gesetz unterworfenen Richter. Akten und Archive der DDR belegen, dass die DDR-Justiz ein willfähriges Exekutivorgan der SED war. Der ungeheuerliche Umfang rechtsstaatwidriger politischer Verfolgung wurde deutlich, als mir die Akten der DDR-Justiz nach der Wiedervereinigung Deutschlands nicht nur zur strafrechtlichen Verfolgung der Rechtsbeugung, sondern auch im Rahmen der Kassation- und Rehabilitationsverfahren zur Einsicht vorlagen. Bereits im ersten Jahr nach der Staatsgründung der DDR klagte die Staatsanwaltschaft der DDR um die 78.000 Personen wegen politischer Vergehen an.
Erst 1991 bestellte mich das Präsidium zum Vorsitzenden einer Schwurgerichtskammer, die unter anderem mit der Tötung Fluchtwilliger an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze und Totschlag im Zusammenhang mit Rechtsbeugung zuständig war. Als Vorsitzender der Strafkammer 34 war ich später auch zuständig für die strafrechtliche Aufarbeitung des Dopings an minderjährigen Schwimmerinnen des DDR-Kaders.
Der ungeheuerliche Umfang rechtsstaatwidriger politischer Verfolgung wurde für mich in seinem ganzen Umfang sichtbar, als mir auch die Akten der Staatssicherheit der DDR im Rahmen der strafrechtlichen Verfolgung der Tötung Fluchtwilliger an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze bei den Verfahren gegen Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates (Erich Honecker und andere) und des Politbüros (Egon Krenz und andere) sowie bei der strafrechtlichen Verfolgung der Rechtsbeugung und des Staatsdopings zur Einsicht vorlagen.
Inhalt
Vorwort
Die Macht der Erinnerung . . . . . . . 12
Der 9. November 1989 und die Folgen für die deutsche Justiz
Prozesse um die Verschleierung des SED-Vermögens . . . . . . . . . . . . . 34
Der „Putnik-Deal“ – Wie die Linke.PDS versuchte, sich Millionen zu sichern. . 39
Der Fall „Novum“ und die „Rote Fini“
Die SED-Gelder in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Kassations- und Rehabilitierungsprozesse. . . . . . . . 56
Stalinistische Schauprozesse – Die Waldheimer Urteile 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Wiedergutmachung? Versuche der Aufhebung rechtswidriger Urteile. . . . . . . . . 62
Der Fall Stefan Heym – Verstoß gegen das Devisengesetz der DDR. . . . . . . . . . . . 68
Prozesse wegen „feindlicher Einstellung“ und „Rowdytum“
Urteile gegen RIAS-Hörer und Fußballfans . . . . . . . . . . . . 70
Nach Ost-Berlin verschleppt und verurteilt – Der Fall Fricke / Rittwagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Die Überprüfung alter Urteile Rehabilitierung nach dem Gesetz der DDR-Volkskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Das Rehabilitierungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland . . . . .86
„Landesverräterische Nachrichtenübermittlung“ und „staatsfeindliche Hetze“ – Die Regeltatbestände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
Anwaltliche Vertretung und Verrat Der Fall Wolfgang Schnur / Freya Klier und Stephan Krawczyk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Wirtschaftsvergehen und Republikflucht Rehabilitierung zu Unrecht Verurteilter. . . . . . . . . . . . . . 103
Strafrechtliche Aufarbeitung des SED-Unrechts. . . . . . . . . . . . . . . 112
Erst die Kleinen, dann die Großen – Der erste Mauerschützen-Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Anklage wegen Totschlag und versuchtem Totschlag – Der Honecker-Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Nicht mehr verhandlungsfähig – Das Verfahren gegen Erich Mielke . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Die Verantwortlichen des Grenzregimes – Der erste Politbüro-Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Der gelenkte Justizapparat . . . . . . 166
Die SED-gesteuerte Justiz – Rechtsbeugung in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Todesurteile wegen „friedensgefährdender Propaganda“ – Der „Gehlen-Prozess“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
„Bezahlte Agenten“ – Der „RIAS-Prozess“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
„Sicherungsmaßnahmen in der Deutschen Demokratischen Republik“ – Der Prozess gegen „Schädlinge der Volkswirtschaft“. . . . 186
Prozesse gegen Richter und Staatsanwälte
Verfahren wegen Republikflucht und „Verleiten zum Verlassen der DDR“. . . . . . . . . . . . . 198
Ausreiseantrag und Entlassung
Zivilverfahren und arbeitsrechtliche Konsequenzen. . . . 209
Versuche der Unrechtsbewältigung. . . . . . . . . . . 220
Staatsdoping – Der Fall SC Dynamo Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Versuchter Mord im Auftrag der Stasi – Der Fall Haack / Welsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
Die Notwendigkeit des Erinnerns. . . . . . . . . . . . . . . . . . 252