Die Stalinallee — Nationales Aufbauprogramm 1952

Fotograf: Gerhard Puhlmann
ISBN:
ISBN 978-3-95723-190-1
Verfügbarkeit: erscheint im September 2022
Umfang: 212 Seiten, 297 mm x 210 mm, Broschur

Abbildungen: 308
Preis: 29,95 €

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Technisch neu bearbeiteter Nachdruck der Originalausgabe von 1952.  Das Buch erschien damals in fünfstelliger Auflage, hervorragend ausgestattet, als Hardcover sowie im bestmöglichen Druck. Es sollte einen Beitrag dazu leisten, die Überlegenheit des Sozialismus darzustellen und zeigen, wie der sozialistische Staat für die Arbeiterklasse sorgt, indem großzügig anspruchsvolle Wohnungen gebaut werden.

Führungen zur Stalinallee von art:berlin

26. November 1952 Die DEFA dreht „die neue Wohnung“, einen Kulturfilm über die sozialistischen Grossbauten in der Stalinallee Berlin. Nationalpreisträger Paulick erklärt den Aufbau der Wohnblöcke. Bundesarchiv, Bild 183-17346-0009 / Quaschinsky, Hans-Günter / CC-BY-SA 3.0

 

Gerhard Puhlmann (*1926 in Wiesbaden) wuchs zunächst in Eltville am Rhein auf. 1936 erfolgte der Umzug nach Berlin-Köpenick, bedingt durch die Tätigkeit seines Vaters als Handelsreisender. Nach dem Abitur 1944 wurde er zur Kriegsmarine eingezogen und blieb nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1947 in der britischen Besatzungszone, um auf einem Hof zu arbeiten. Er kehrte in die sowjetische Besatzungszone zurück, sobald es für ihn möglich war. 1947 studierte Puhlmann an der Humboldt-Universität Journalistik und begann gleichzeitig sein Volontariat als Fotograf beim ADN, dem Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst, der einzigen Nachrichten- und Bildagentur der DDR.

Aus dem Nachwort

ADN belieferte fast alle Zeitungen des Landes mit Texten und Fotos, unterstand dem Ministerrat der DDR und wurde angeleitet und kontrolliert vom zentralen Parteiapparat der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.

Der Druck auf die inhaltliche und visuelle Ausrichtung der Berichterstattung nahm mit den Jahren zu. ADN färbte sich allmählich mehr und mehr „rot“. Das brachte Puhlmann in Konflikt mit seiner Überzeugung, besonders mit seinem Glauben als Katholik. 1951 machte er sich selbstständig und arbeitete als freier Fotograf für die auflagenstarke B.Z. am Abend, die von 1949 bis 1990 existierte, ein Vorläufer des heutigen Berliner Kuriers. Zu Puhlmanns Kunden gehörten auch Die Tribüne, das Zentralorgan des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes in der DDR mit einer Auflage von 300.000 Exemplaren im Jahr 1952 sowie die Frau von heute, eine illustrierte Frauenzeitschrift des Demokratischen Frauenbundes Deutschland, damals mit einer Auflage von 300.000 und im Jahr 1962 von 600.000 Exemplaren. Später wurde daraus Für Dich. Er arbeitete darüber hinaus auch für die mit mehr als 700.000 Exemplaren auflagenstarke wöchentliche Zeitschrift NBI, Neue Berliner Illustrierte. Die NBI sah sich in der Tradition der Berliner Illustrirte Zeitung, BIZ, des Ullstein Verlags, die von 1892 bis 1945 erschien.

Gerhard Puhlmann machte sich als freier Fotograf auch als Porträtfotograf von Schauspielern, Sportlern und Mannequins einen Namen. Zu den bekanntesten von ihm porträtierten Stars, mit denen ihn oft eine Freundschaft verband, gehörten die Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek, die sich 1959 aus der DDR in den Westen absetzte und dort ihre Karriere ausbaute; die Kessler-Zwillinge, die 1947 beim Kinderballett der Oper Leipzig anfingen, aber bereits 1952 in die Bundesrepublik gingen; Arthur Brauner, aus einer jüdischen Familie stammend, die vor dem Holocaust in die Sowjetunion flüchten konnte, der 1946 in West-Berlin die Filmproduktionsgesellschaft CCC gründete. In vielen von Brauners 500 Filmen ging es um die Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Auch der populäre französische Darsteller Gérard Philipe, die französische Charakterdarstellerin Simone Signoret, die DDR-Schauspielerin Angelika Domröse (später Hauptdarstellerin in „Paul und Paula“) sowie die international gefeierte Caterina Valente und ihr Bruder Silvio Francesco gehörten zu Puhlmanns Kreis. Seine Meisterschüler waren Wolfgang Rademann und Fred Kastler.

Die sozialistisch geprägte Textdokumentation dieses Buchs war dem Geist der Zeit geschuldet, etwas, das ihn nach Aussage seiner Tochter sein ganzes Berufsleben lang als Begleitumstand seiner sonst schöpferischen Arbeit störte. 1953 bot sich die Chance für ein großes Bildwerk: Die Stalinallee. Das Entstehen der Straße sollte ursprünglich nur filmdokumentarisch begleitet werden. Da Gerhard Puhlmann aber den Architekten Professor Hermann Henselmann persönlich kannte, verantwortlich für die Wohnbebauung am Strausberger Platz und den ersten Abschnitt der Stalinallee, sicherte er sich den Auftrag für die fotografische Begleitung des gesamten Bauvorhabens und konnte so die ganze Bandbreite seines Könnens auf brillante Weise unter Beweis stellen.

Die hohe Qualität von Puhlmanns Arbeit an diesem Projekt wurde geehrt mit dem Nationalpreis 1. Klasse, verbunden mit einem Geldpreis von 100.000 Mark. 1953 betrug das durchschnittliche Monatseinkommen in der DDR laut Rententabelle 324 Mark. Von dem mit dem Nationalpreis-Geld in Höhe von 26 Jahresgehältern kaufte sich der Fotograf in Berlin-Rahnsdorf ein Grundstück und baute darauf eine Villa. Seine Familie sollte nie in prekären Verhältnissen leben müssen. 1962 heiratete Gerhard Puhlmann eine junge Ärztin und bekam eine Tochter. Bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben 1988 war er weiter als Fotograf tätig, u.a. für den Nationalrat und die Liga für Völkerfreundschaft. Am 9. November 2009 verstarb er nach langer Krankheit.

Editionsgeschichte im Berlin Story Verlag

Als die Tochter von Gerhard Puhlmann 2021 mit der Idee eines Nachdrucks des Bandes Die Stalinallee an den Verlag herantrat, stieß sie auf offene Türen. Bereits 2006 hatten wir uns um dieses Projekt bemüht – erfolglos, weil der damalige Rechteinhaber, ein Verlag in Norddeutschland, auf wiederholte Nachfragen nicht reagierte.

Damals hatte der Verlag ein wertvolles Exemplar des lange Zeit nur antiquarisch zu erwerbenden Buches von Bernd Müller erhalten, dem ehemaligen Bezirksschornsteinmeister und Autor von Zukunft ist ohne Vergangenheit nicht möglich – 50 Jahre Schornsteinfeger in Berlin. Bernd Müller brachte das Buch über die Stalinallee im November 2006 in die Berlin Story Buchhandlung Unter den Linden und schlug vor, es wieder zu veröffentlichen. Ohne sein Engagement hätten wir nichts von diesem Dokument der Zeitgeschichte gewusst.

Die Stalinallee braucht keine einführende Erläuterung. Auf Puhlmanns Bildern sehen wir modernste Technik und glückliche Menschen, Männer und Frauen, Junge und Alte, Helfer aus vielen Ländern und aus Kreuzberg. Modernste Technik. Gezeigt werden schier überquellende Läden mit Angeboten von Hirschkeule bis Ananas. Helden der Arbeiterklasse von der ersten bis zur letzten Seite. Die Arbeiterklasse – heute gibt es sie bei uns nicht mehr so. Die Arbeiterklasse – was die eigentlich ist und was sie zu leisten vermag, darüber klärt das „Kleine politische Wörterbuch“ aus dem Dietz Verlag der DDR von 1967 auf:

„Die führende Rolle der Arbeiterklasse ist objektiv begründet. Die A. entsteht und entwickelt sich mit der maschinellen Großproduktion und ist damit als wichtigste Produktivkraft die Klasse, die Schöpfer der neuen, fortschrittlichen sozialistischen und kommunistischen Produktionsweise ist. Durch ihre Arbeit ist die A. mit der industriellen Großproduktion verbunden, damit ist ihr rasches zahlenmäßiges Wachstum verknüpft, ihr alle lokalen Schranken sprengender Zusammenschluss, ihr internationalistischer Charakter, ihre Konzentration an den Schlüsselpunkten der Wirtschaft. Die A. ist deshalb als organisierte und disziplinierte Klasse mehr als alle anderen werktätigen Klassen zu zielbewussten, organisierten Aktionen fähig (…) Dazu bedarf es der Führung durch die marxistisch-leninistische Partei, die die wissenschaftliche Weltanschauung, den Marxismus-Leninismus, mit der Arbeiterbewegung verbindet und die A. zu bewusster politischer Aktion organisiert.“

Bewusste politische Aktionen im Jahr 1953, als die Stalinallee fertiggestellt wurde? Die Partei hatte die Normen verschärft, die Bauarbeiter, zum Beispiel auch am Klinikum Friedrichshain, waren dem Druck der Mehrarbeit nicht gewachsen, der Lohn wurde ihnen gekürzt. In der Folge formierten sich Protestzüge, Arbeiter zogen durch die Stalinallee zum Haus der Ministerien, heute Finanzministerium an der Leipziger Straße Ecke Wilhelmstraße. Ohne Partei. Gegen die Partei. Am 17. Juni 1953 entwickelte sich der Unmut in Berlin und in anderen Städten und Dörfern der DDR zum Aufstand gegen die Führung der DDR. Mindestens 55 Frauen und Männer kamen ums Leben. Panzer der sowjetischen Truppen walzten den Aufstand nieder.

Dieses Buch über die Helden der Arbeit ist also ein Propagandawerk. „Making of Stalinallee“, der Bau von Wohnungen für die Werktätigen ist nur der eine Aspekt. Allerdings wird deutlich, dass sich gute Wohnungen auch schnell bauen lassen, wenn nur der Wille der Verwaltung vorhanden ist. Als noch wichtiger kann man den Versuch ansehen, die Identifikation der Bevölkerung mit diesem symbolischen Aufbauwerk und mit der DDR zu retten. Damals gab es sicher noch etliche, die an den Sozialismus glaubten. Der Strom derer jedoch, die in den Westen flüchteten, war nach der II. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Juli 1952 erheblich angewachsen. 1953 flohen 331.400 Menschen, damit doppelt so viele wie im Jahr 1951, aus der DDR. Die Parteikonferenz beschloss, trotz oder wegen der schweren Versorgungskrisen, den Aufbau des Sozialismus zu beschleunigen, die Landwirtschaft weiter zu kollektivieren, den Staatsaufbau zu zentralisieren. Immer mehr private Unternehmen wurden enteignet und in Volkseigene Betriebe überführt. Wenige Wochen vor der II. Parteikonferenz war die innerdeutsche Grenze abgeriegelt worden. Man konnte nicht mehr von Thüringen nach Bayern oder Hessen. Deshalb flüchteten immer mehr Menschen über Berlin. Vor diesem Hintergrund entstand damals dieses Buch über die Stalinallee mit hohem inszenatorischem Aufwand.

Wieland Giebel